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Stadt in Flammen (1923)
Frankreich 1923 - Regie: Luitz Morat - Drehbuch: Jean Louis Bouquet - Kamera: Daniau Johnstone - Ausstattung: Rober Gys - Darsteller: Daniel Mendaille, Jeanne Maguenat, Alexis Ghasne, Paul Journée, Armand Morins, Georges Cazalis, Émilien Richaud, Simone Judic - Produktion: Pathé - Films de France - Premiere: 29.10.24 - Archiv: Cinémathèque française, Paris - Farbe: schwarzweiß
Dieser lange Zeit verschollene Film erweist sich in vieler Hinsicht als ein Werk, dem ein vorrangiger Platz in der Filmgeschichte gebührt. Er ist vielschichtig, humorvoll und von ungeahnter künstlerischer Virtuosität. Der unglücklich verliebte Ingenieur Richard Gallée verkauft seine Erfindung . wir befinden uns im Jahre 1930 . an einen finsteren Ausländer. Was der Menschheit hätte dienen sollen, die Nutzbarmachung natürlich vorkommender Elektrizität, wird jetzt zu zerstörerischen Zielen verwandt. Doch in der Hauptstadt werden die Drohungen nicht ernst genommen. Und so beschließt der »größte Verbrecher aller Zeiten« die Auslöschung von Paris. Die ganze Stadt steht in Flammen und nacheinander stürzen ihre berühmten Bauwerke in sich zusammen .
Doch all das ist nur ein Alptraum und der Vorstellungskraft Richard Gallées entsprungen, der seine erfolglosen wissenschaftlichen Forschungen aufgegeben hat und nun, als erfolgreicher Romanschriftsteller, seine drei Rivalen . den Bankier, den Sportler und den Sänger . aussticht und endlich die Frau heiraten kann, die er liebt. Nur scheinbar bedient der Film die Klischees des Groschenromans. Die für Dezember 1930 angedrohte Vernichtung von Paris ist eine Anspielung auf die im Ersten Weltkrieg befürchtete Bombardierung der Stadt. Der historische Kontext der Entstehungszeit des Films ist geprägt durch das Wiederaufflammen der deutsch-französischen Feindschaft mit der Ruhrbesetzung, mit dem Kampf um Energiequellen und Industrie und mit der noch wachen Erinnerung an den Krieg. Daher genügt schon der deutsche Name des »bösen Nachbarn«, des rätselhaften Hans Steinberg, um ihn als Inkarnation des Bösen erscheinen zu lassen (wobei er sich schließlich als ein Straßburger Verleger entpuppt). Das Drehbuch von Jean Louis Bouquet scheint es darauf angelegt zu haben, die Vorurteile des Publikums aufzugreifen, um sie dann, nicht ohne Humor und Kühnheit, in ihr Gegenteil zu verwandeln. Die Bedienung deutschenfeindlicher Klischees mag im Jahr 1922/23 ja durchaus verständlich gewesen sein, es zeugt jedoch von großer Scharfsinnigkeit, wenn man dadurch das Publikum geradezu zu entwaffnen versteht.
Ein weiteres zu berücksichtigendes Zeitelement des Films besteht in seiner humanistischen Reflexion über die Zwiespältigkeit der Elektrizität, deren Regulierung man noch nicht vollständig beherrscht. In den 20er Jahren verleiht die »Zauberfee der Elektrizität« dem Kino Aufschwung, erobert die expandierenden Städte und betreibt die Modernisierung der Provinz. Doch dieser Film aus dem Jahr 1923 ist nicht so leichtgläubig. Nach den Verwüstungen des letzten Krieges und angesichts neuer Gefahren gleicht seine Botschaft derjenigen der Science Fiction, die heute vor der Atomkraft warnt, und derjenigen von Rabelais, der schon im Jahre 1532 befand: »Das Wissen möge niemals einem verbrecherischen Geist anheimfallen; und Wissenschaft ohne Gewissen bedeutet den Untergang der Seele.«
(Marcel Oms: La Cité foudroyée (1923), un archétype mal connu, in: Les Cahiers de la Cinémathèque, Dezember 1985)
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