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Der Mandarin (1918)
Österreich 1918.
Regie: Fritz Freisler; Buch: Paul Frank, Fritz Freisler;
Darsteller: Harry Walden, Karl Götz, Gretel Ruth, Hilde Radnay, Trude Merly, Cornelia Haszay, Nectar Flondor.
Produktion: Sascha Filmindustrie AG (Wien). Uraufführung: 22.11.1918. 2002-04 restauriert im Zuge eines gemeinsamen Projekts des Österreichischen Filmmuseums (Wien) und des George Eastman House (Rochester). Format: 35mm / 1:1,33 / Länge: 1115 Meter / 61 min (bei 16 Bildern pro Sekunde) Mehrfarbig viragiert, italienische Zwischentitel
am Klavier: Gerhard Gruber
Hinter diesen trockenen personellen und technischen Angaben verbirgt sich ein bedeutender Fund zur österreichischen Filmgeschichte. Der Mandarin, eine aufwendige Produktion der Sascha-Film im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs, wurde beim Kinostart von der Kritik und der Filmbranche durchwegs gefeiert. Hervorgehoben wurden die Trick-Effekte, die psychologische Durcharbeitung und die Besetzung (mit Stars des Burg- bzw. Volkstheaters: Harry Walden und Karl Götz). Doch seit 1945 galt der Film als verschollen. Vor einigen Jahren fand sich im Nachlass eines italienischen Filmsammlers, der dem George Eastman House in Rochester (der Heimstätte von Kodak) übergeben wurde, eine gut erhaltene, mehrfarbig viragierte Kopie: Il Mandarino – offenbar aus dem ursprünglichen italienischen Verleih stammend. Die Kopie ist kürzer als bei der österreichischen Uraufführung. Da der Handlungsverlauf und der dramatische Bogen jedoch vollständig erhalten sind und das Erzähltempo relativ hoch ist, besteht die Möglichkeit, dass es sich dabei um eine vom Verleiher bewusst gekürzte, „schnellere“ Fassung handelt. In einem gemeinsamen Projekt mit dem George Eastman House hat das Filmmuseum den Film nunmehr restauriert und mit einem neuen Negativ sowie einer Farbkopie (Desmet-Verfahren) in Österreich gesichert.
In seiner Rahmenhandlung berichtet Der Mandarin von einem Schriftsteller, der in der Irrenanstalt von Steinhof nach Stoff für seinen neuen psychologischen Roman sucht. Der Anstaltsleiter bringt ihn zum wahnsinnig gewordenen Freiherrn von Stroom, dem „interessantesten Fall“ in Steinhof. Dessen Geschichte bildet den Hauptteil des Films – die Tragödie eines Libertins. Abgewiesen von der Frau, die er begehrt, folgt der Freiherr den Verlockungen einer Talismanfigur, die er bei einem Trödler erstanden hat. Dieser kleine „Mandarin“ erwacht zum Leben und bietet dem Freiherrn in einer Art Teufelspakt seine magisch-kupplerischen Dienste an. So erschleicht sich Freiherr von Stroom die Hörigkeit der Damen. An die Stelle heldischer Eroberung treten Magie und Betrug. Der plötzliche erotische Erfolg macht den Freiherrn jedoch übermütig: Sein törichter Glaube, es müsse nun auch „aus eigener Kraft“, ohne den Mandarin gelingen, führt ins Verderben, in die Gosse, in den Wahnsinn. Am Ende will nicht einmal mehr die Hure den Freiherrn haben, nicht einmal für Geld.
Während der Erste Weltkrieg sein grausames Endspiel erlebt, erzählen österreichische Filme von einer anderen Art des Männerwahns. Die bösen Träume dieser Heldenmänner werden nicht von Kanonendonner in Gang gebracht, sondern von der Zurückweisung im Feld der sexuellen Ehre. Es sind schwache Lebemänner, Seidenunterwäscheträger, Schuldenmacher – bessere Herren in schlechteren Zeiten. Melancholie, „erregte Nerven“ und symbolistische Dekors rufen den Geist der Zeit aus anderer Richtung wach. Und Der Mandarin, ein psychologisches Drama der Licht- und Trick-Effekte, weiß diesen Geist zu beschwören.
Die Schauplätze des Films sind Wiener Parks und Gassen, Salons, Séparées und die Irrenanstalt am Steinhof – z.B. in einer blutroten Totalen, an deren Horizont die Otto-Wagner-Kirche thront. Das Realistische der Darstellung (in einem erstaunlichen Bild zu Beginn, das dicht gedrängt die verschiedenen Anstaltsinsassen vorführt) weicht sukzessive einer starken Anmutung von Frühexpressionismus – einer Welt der Schatten, des fremdgesteuerten Verhaltens, des Identitätsverlusts. Kurz bevor die Doctores Caligari und Mabuse im Weimarer Kino ab 1920 ihre Opfer mit hypnotischen Fähigkeiten umnebeln und autoritätshörig werden lassen, macht der wahnsinnige Freiherr von Stroom mit dem Mandarin eine ähnliche Erfahrung. Der Talisman wird zur Nemesis und begegnet seinem Opfer in jeder Autoritätsfigur aufs Neue – im Oberpolizisten, der ihn abtransportiert, oder in Gestalt des Oberdoktors von Steinhof. Die Zwischentitel schreien: Man-da-ri-no! (Alexander Horwath / Paolo Caneppele)
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