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Mister Pim´s trip to Europe (1930)


Hergestellt im Auftrag der SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei) REGIE: Frank Ward Rossak LÄNGE: 950 Meter FORMAT: 16 mm, s/w, stumm, deutsche Zwischentitel LAUFZEIT: 76 Minuten

 


KLAVIERBEGLEITUNG: Gerhard Gruber
 

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Die Sozialdemokraten gewinnen am 9. November 1930, in der letzten freien Nationalratswahl der Ersten Republik, ein Mandat, profitieren von der Aufsplitterung des Bürgerblocks in drei Gruppierungen und werden erstmals seit 1919 wieder zur stärksten Partei im Parlament. Die Nationalsozialisten versechsfachen ihre Stimmen auf knapp 112.000, erhalten aber mit drei Prozent kein Grundmandat und sind weiterhin im Parlament nicht vertreten. Der Herausgeber des Springfield "News Chronicle" will sich selbst ein Bild machen. Er kündigt in einem Artikel Originalberichte aus einer Stadt an, die dem Untergang geweiht ist. Elias Pim reist nach Wien. Ein Umerziehungsprozess beginnt, der mit einem Telegramm an seine Zeitung endet, das die Arbeit der roten Stadtverwaltung in ihrem Kampf wider die Unkultur vorbehaltlos lobt. Als sozialdemokratischer Werbefilm in 32 Schmalfilmkopien (16 mm) in den Dienst des Wahlkampfes gestellt, treffen in MR. PIM zwei Besonderheiten aufeinander. Eine filmhistorische: MR. PIM stellt den ausgeprägtesten Versuch dar, in Österreich einen eigenen sozialistischen (Spiel-)Film herzustellen. Das zweite hervorstechende Merkmal liegt in der Geräumigkeit der Dramaturgie: Alt und Neu werden gegeneinander abgewogen. Beide Zeitalter übersetzt MR. PIM entlang einzelner Argumentationsketten in Bilder. Elend, Verwahrlosung, Selbstenteignung werden plastisch, binnen kleiner Parabeln, vorgeführt. Die Aufhebung der Missstände im Roten Wien beeindruckt, das Bewusstsein über deren Existenz muss aber Motor für weitere soziale Anstrengungen bleiben. Der Film zieht Bilanz über ein gutes Jahrzehnt sozialistischen Politik- und Kulturverständnisses. In seinen Bildern nimmt er ein Spektrum an gesellschaftlichen Strömungen und Sozialtypologien auf, die auch andere Filme (der Zeit) infiziert haben. 1924 entsteht im Kollektiv des Kuleschow-Workshops der Langfilm DIE UNGEWÖHNLICHEN ABENTEUER DES MR. WEST IM LAND DER BOLSCHEWIKI ODER: BESTRAFTE UND BELOHNTE NEUGIER EINES YANKEE (UdSSR 1923/24, REGIE: Lew Kuleschow). Mr. West hat Mr. Pim nicht unbeeinflusst gelassen. Ein Amerikaner reist mit Vorurteilen, geschürt durch die kapitalistische Presse, in das Land seiner bösen Ahnungen. Er wird geläutert. Im Referenzraum, im Erzählgestus, im Tonfall nehmen die beiden Filme jedoch unterschiedliche Richtungen. MR. WEST parodiert amerikanische Kinogenres, MR. PIM lässt russische Montagetheorien für österreichische Zwecke sprechen. Der Weg zur filmischen Rede ist für den Regisseur Rossak gleichzeitig ein Weg zu einem Verhältnis zur Wirklichkeit. MR. PIM betont dabei weniger das Konstruktive denn eine Spannung des Kontrastes. Eine imaginierte Sichtweise trifft auf eine realitätsbezogene. Der Redakteur lässt Pim notieren: "Der Lehrling wurde zur Achtung vor der Autorität erzogen." Dieses Schriftbild setzt im Zuschauer Vorstellungen frei, die sich jäh an den folgenden Bildern brechen. Gezeigt wird ein Lehrbub, fast noch ein Kind, der barfuß und übermüdet in der Werkstatt Lederstreifen schneidet. Parallel schiebt der Junge mit dem Fuß einen Kinderwagen hin- und her. Er nickt kurz ein. Das Kind wacht auf, schreit, weckt die dicke Meisterin aus ihrem Schlaf. Der Lehrbub bezieht eine gehörige Tracht Prügel. Zwei kontrastierende Wirklichkeitskonzepte, die den Zuschauer veranlassen, das eigene Weltbild zu befragen. Ein Bogen spannt sich vom Sehen zum Verstehen. Rossak nimmt dieses Montagemodell im zweiten Teil seines Films zunehmend zurück. Die Lesart der Bilder bekommt eine Signatur. Der Fortschritt ist da, er braucht nur mehr wahrgenommen werden. Das Rote Wien hat die Synthese der Widersprüche vollzogen, der sich die Bilder einfügen. Die Aufgabe des Zuschauers besteht nun weniger im Produzieren von Sinn, als im Positionieren eines Kreuzes auf dem Wahlzettel. Elisabeth Büttner/Christian Dewald
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